Christov Rolla  5. August um 14:51 ·

 

BRIEF AN DEN RECHTEN MITSCHWEIZER

Lieber rechter Mitschweizer.

Wir müssen reden. 

Ich schlage vor, ich rede, und du hörst nicht zu. Einverstanden? So war es ja schon immer.

Du schreibst, man müsste das Gesocks an die Wand stellen. Einen Galgen auf dem Bundesplatz aufbauen. Mit dem Flammenwerfer draufhalten. Anzünden und im Loch verscharren. Öppe so. Und neuerdings kläffst du, die Linken hassten die Schweiz.

Du schimpfst, lärmst und beleidigst, du behauptest irgendwelche Sachen und gehst nicht auf Gegenfragen, geschweige denn auf Gegenargumente ein. Aus deinen Zeilen und Kommentaren triefen Wut und Hass und Missgunst – und erschütternde Gewaltphantasien sonder Zahl.

Manche Leute deuten Angst in deine Auswürfe hinein. Angst vor dem Fremden, Angst vor dem Übervorteiltwerden, Angst davor, eine Minderheit zu sein. Es gibt viele Ängste.

Ich weiss aber nicht, ob du Angst hast. Sie erklärt deine blindwütigen Widerwärtigkeiten, die du Tag um Tag absonderst, nämlich überhaupt nicht.

Manchmal möchte man dich trösten. „Lieber rechter Mitschweizer, es ist nicht so schlimm, wie du denkst. Das sind nur Menschen. Die beissen nicht. Die wollen noch nicht einmal spielen.“ (Also etwa so, wie man dem Kind beim Krimi sagt, dass das nur Ketchup ist und kein richtiges Blut.)

Und zugleich möchte man dich lieber stehen lassen, weil du es dir mit allen verdirbst, die ein bisschen anders sind als du. Da stehst du nun und gröhlst, und niemand kümmert sich um dich.

Weil du so ein herzloser Schreihals bist.

Du fühlst dich in die Ecke gedrängt – oder tust zumindest so –, dabei bist du in der Mehrheit. Und was machst du? Du drischst auf die Minderheiten ein. Das ist genau gleich feige, wie wenn zehn Nazis auf einen Juden losgehen, wie jüngst in Zürich geschehen. (Da warst du allerdings ein bisschen stiller als sonst, gell, das war keine so tolle Idee, das mit dem Juden, weil ein Jude ist ja nicht wirklich ein Ausländer, nicht so richtig afrikanisch oder arabisch wie ein Ausländer normalerweise, gell, und vor allem weckt so ein Vorfall Erinnerungen an die Nazizeit, und da bist du immer ein bisschen empfindlich, wenn man das mit dir assoziiert.)

Du glaubst es ja immer nicht, aber die Linken und die Asylbewerber und die Ausländer (zu denen übrigens mit grosser Wahrscheinlichkeit auch der eine oder andere deiner Vorfahren gehörte), das ist sogar *zusammengerechnet* noch eine Minderheit. (Du darfst sogar noch die Gutmenschen, die Wollsocken und die Ökofuzzis dazurechnen: Es sind am Schluss immer noch weniger Leute, als deine Lieblingspartei Wähler hat.)

Diese zusammengerechnete Minderheit nun bedroht anscheinend aufs Schrecklichste dein Land, deinen Leib und dein Leben. Du aber bist ein geiler Siech und sehr mutig, du stehst auf und sagst, was „man ja wohl noch wird sagen dürfen“.

Du wirst auch nicht müde zu behaupten, die Stadt, der Kanton, das Land seien linksrotgrün regiert, und wenn man dir die tatsächlichen Wahlresultate vor die Nase hält, erwähnst du einfach irgendeinen FDP-Politiker, der vor drei Jahren zweimal mit der SP gestimmt hat, und es steht zu befürchten, dass du wirklich glaubst, das sei ein Beweis für deine Behauptung. Oder für deine Meinung. (Seit einiger Zeit machst du ja sowieso keinen Unterschied mehr zwischen Fakt, Meinung, Gefühl, Schlagzeile und Parteivorgabe.) Stattdessen kommst du zwecks Ablenkung von deiner Faktenignoranz mit einem beliebigen anderen Problem um die Ecke, an dem die Linksgrünroten Schuld haben sollen, und bist blind genug, nicht zu sehen, dass selbst ein linkes Mitwirkendürfen in der Politik nicht lösen kann, was die Finanzgeilheit, die Pfründenpolitik und fehlende Umsicht deiner Lieblingsparteien während Jahren verschuldet hat.

Du sagst, die Traditionen und Werte der guten alten Schweiz seien bedroht. Woher kommt dieser Quatsch? Das Eidgenössische ist so gut besucht wie noch nie (sei’s das Schwingen, sei’s das Singen), in den Kirchen hängt am ersten August nach wie vor die Schweizerfahne. Die Leute spielen Lotto wie blöd, und kein Eritreer stahl jemals einem Ländlermusikanten seine Klarinette. Wo genau ist dein Problem? (Dass das traditionelle Sonntagspfeifchen der Emmentaler Bauern in den Siebzigerjahren verboten wurde, das ist gewiss nicht den Linken zu verdanken. Und ich möchte nicht wissen, wie viel Geld in den Ballenberg hineingebuttert werden muss, um ihn zu erhalten, nur damit du und deine Kollegen nie hingehen und aber trotzdem sagen können, wie wichtig die Tradition ist.) Ich sehe wirklich nicht, wo die Linken und die Flüchtlinge deine Traditionen und Werte bedrohen. Du sagst aber auch nie etwas Konkretes zu deinen Traditionen. Nimmst du überhaupt teil am Gemeinleben in der Schweiz?

Man weiss sowieso immer nicht so recht, ob es jetzt die Linken oder die Ausländer sind, die du mehr hasst. Vermutlich pulsiert in dir ein schwerer, schwarzer Sack voll Galle und Gülle, der stinkt, der tut dir weh, und je nach Tagesform oder zu kommentierendem Artikel sind halt die einen oder die anderen tschuld daran.

Die Linken hassen die Schweiz?

(Nur schon dein Dualismus ist widerlich. Als gäbe es nur dich und "die Linken". Wir reden hier über die Köpfe von vielen Menschen und beinahe gleich vielen Parteien hinweg. Aber nun gut.)

Ich will dir was sagen. Die Linken möchten, dass es ALLEN gut geht. Dafür müsste es ein paar wenigen Menschen, die sowieso schon viel mehr haben, als sie für ein Leben in Saus und Braus benötigen würden, ein birebitzeli schlechter gehen. (Man kann eigentlich noch nicht einmal von „schlechter“ reden. Der Swimmingpool, das superteure biermassierte Edelfilet, der Zweit-SUV zum Hinterlegen der Kinder in die Privatschule - all das läge immer noch easy drin.) Es bräuchte also eigentlich nur ganz wenig, damit es dem VOLK besser ginge. Mir, den Asylanten und auch dir, my dear. (Das wusste ja schon Mani Matter. Aber dem haben die Obrigkeit und du ja auch nie wirklich zugehört.)

Die Rechten hingegen möchten, dass es IHNEN gut geht. Und sie tun so, als würdest du zu ihnen gehören. Sie tun so, als würden sie in deinem Namen agieren. Und ihre Lösung sieht in gefühlten 98% aller Fälle so aus, dass das bessere Leben am einfachsten zustande kommt, indem es anderen *schlechter* geht. Stichwort Asylbewerber, Stichwort Künstler, Stichwort Frauen, Stichwort Arbeiter, Stichwort Heimbewohner, Stichwort Schulkinder, Stichwort Behinderte, Stichwort Kinderspielplätze, du kannst mitaufzählen. Ist ja logisch: Wird auf der einen Seite Geld eingespart, bleibt andernorts mehr übrig. Aber selbst wenn da was eingespart wird: DU kriegst von dem edlen Segen überhaupt nichts ab.

A propos, sag schnell. Du sagst ja immer, man solle („jetzt erst recht“) die SVP wählen. Warum sollten Parteien, die einen Gutteil ihres Geldes aus der Industrie oder dem Finanzwesen beziehen, ausgerechnet an DIR interessiert sein und in deinem Interesse handeln? Was genau machen ein Blocher, was ein Köppel, was eine Rickli für dein Geschäft, deine erste Säule, deine Mietzinsreduktion, deine psychosomatischen Probleme, deine Prämienrückerstattung, dein Bio-Joghurt, die Ausbildung deiner Kinder, und was für dich, konkret, damit dein Leben besser wird? Ich frage aufrichtig interessiert. Du wirst mir das nicht beantworten und auch nicht beantworten *können*. Denn du bist nichts als Material für sie. Du wirst für sie stimmen, und sie werden sich ins Fäustchen lachen. Du wirst nichts davon haben, aber immerhin, harharhar, die verdammten Linken auch nicht. Deine vermeintlichen Schutzpatrone hingegen werden profitieren und heimlich über die Verlierer lachen. Also über mich, die anderen – und dich.

Die Rechten tun so, als kämen ihre Anliegen dir entgegen. Aber das tun sie nicht. Die Rechten zählen einfach auf, was dir Angst macht. Und dann fühlst du dich von deinen Parteien beschützt. Aber ich sag dir: einen Dreck tun sie.

Sie sorgen dafür, dass du nicht ihnen die Schuld gibst an den Missständen. Denn sie besitzen auch Zeitungen und Online-Kanäle. Sie wissen genau, was du erfährst. Und was nicht. Sie – und die Verantwortungslosen – füttern dich mit den Informationen, die ihnen in den Kram passen. Glaub mir: Das hat nichts mit der Schweiz zu tun, die du so fest zu lieben behauptest.

Deinen Vorzeigeschweizern sind der Jura, der Napf, der Alpstein imfall vollkommen egal. Und du, lieber rechter Mitschweizer, gehst ihnen ebenfalls am Allerwertesten vorbei.

Und ihr sagt, die Linken würden die Schweiz hassen!

Baby, ich liebe meine Heimat. Ich liebe die Menschen zwar meistens mehr als die Scholle, und halte es mit Heinemann, indem ich in erster Linie meine Freundin liebe (was für jeden anständigen Menschen das erste Gebot sein sollte), aber es darf gelten: Die Schweiz ist mein Grund und Boden. Ich bin froh und schätze mich glücklich, dass ich hier geboren wurde und aufwachsen durfte, ohne etwas dafür getan zu haben, und nur mit wenigen Menschen würde ich theoretisch tauschen mögen. (Und wir reden hier von Luxusdestinationen wie der Ardèche oder Schlesien. Überall sonst in das Leben schlechter.)

Du willst es wortwörtlich hören, also ja: Ich liebe die Schweiz. Okay? Gut so?

Ich liebe aber auch die Menschen, hier und aber auch "an sich", oder probiere es zumindest, und zwar versuche ich das mithilfe von etwas, das viel, viel, viel älter ist deine geliebte Eidgenossenschaft. Wie wollen wir’s nennen? Menschlichkeit? Anteilnahme? Oder probieren wir’s, auch wenn du jetzt blöd lachen wirst, mit: Nächstenliebe?

Da sind Menschen und Länder zuschanden geritten worden, und das geht mir nahe. Ich möchte, dass es möglichst allen gut geht, und wenn einer nach unermesslichen Strapazen hier ankommt, dann sollte er zumindest mal halbwegs freundlich empfangen werden. Grüezi. Glas Wasser vielleicht. – Und nicht gleich mit dem Flammenwerfer, du Arschloch.

Wenn es zu viele werden, wenn es wirklich zu viele werden, dann finden wir schon eine Lösung. Und wenn einer kriminell wird, dann soll er bestraft werden wie der reinste Schweizer, da können wir uns gerne einig werden. (Versuchsweise könnten wir ja, nur für eine Woche oder so, mal alle Schweizer so behandeln, wie wir die Asylbewerber behandeln. Wetten, dass es dann ein bisschen stiller wäre im Karton der Rassisten?)

Du sagst, ich hasse die Schweiz?

Etz los emol zu. Ech mues der öppis säge.

Ich will nicht, dass du meine Heimat, meine Scholle, dieses Land, in dem auch meine Vorfahren gewirtschaftet und gekrampft und für das sie, wie du sagen würdest, gekämpft haben, mit deiner Gesinnung, deinem gruusigen Auswurf und deinem ganzen Gebahren verdreckst.

Ich will nicht, dass du mich als Linken in diesen von dir und deinen Lieblingsparteien verursachten und weitergetragenen Dreck ziehst. Und schon gar nicht möchte ich, dass ich jetzt dafür den Kopf herhalten muss.

Denn Schuld an dieser ganzen verdammten Misere sind ganz gewiss nicht die gewöhnlichen Menschen. Ich nicht, und du auch nicht. Und die Flüchtlinge schon gar nicht.

Ich muss dir doch nicht ernsthaft erzählen, woher der Wohlstand der Schweiz kommt. Den hast nicht du erwirtschaftet, und auch nicht deine Grosseltern. Die Schweiz hat ganz gehörig von den Zeitläuften profitiert und auch daneben einen skrupellosen Geschäftssinn an den Tag gelegt. Beispiele kannst du selber suchen. (Wer tippen kann, der kann auch lesen.)

Du sagst, die Linken machen die Schweiz kaputt?

Dir ist aber schon klar, dass du ohne die Linke bis zu deinem Todestag schuften müsstest, selbst bei Siechtum und Behinderung? Und dass deine Frau fünf bis sieben Kindern das Leben hätte schenken müssen, damit diese dann, wenn du einmal überhaupt nicht mehr kannst, für dich weiterkrampfen und dich, zitternd und bibbernd, bis zu deinem Ableben füttern und aushalten müssten?

Dir ist schon klar, dass deine Frau, deine Freundin, deine Tochter keine Chance hätten, die SVP zu wählen, wenn es das Frauenstimmrecht nicht gäbe? Und wereliwer hat damals dafür gesorgt? Jedenfalls nicht du und deine Idole.

 (Und wer akzeptiert murrend, aber in Anstand, dass deine Sippe in corpore die SVP wählt? Die Linke. Ihr aber nennt umgekehrt die Linken ... wie war das nochmal? Landesverräter?)

Und dass die Matte, die Aue, das Tal und der Wald noch nicht völlig zuschanden wurden, dafür hat übrigens nicht deine Lieblingspartei gesorgt, Baby, sondern das haben die Grünen gemacht. Jetzt ist Heimatschutz en vogue, klar, und keine Sau sagt, wem wir das zu verdanken haben. Denk mal drüber nach.

Lieber rechter Schweizer, der du ungeniert und unzensiert deine Meinung absondern darfst und indirekt (und logo, völlig "ohne es ernst gemeint zu haben") zum Mord an Linken und Ausländern aufforderst: Könnten wir zum Schluss dieses Briefes vielleicht irgendeinen freundeidgenössischen Kompromiss finden für ein würdevolles Zusammenlebeben in unserer beider Land? Etwas, was für dich und für mich und vielleicht sogar für die Ausländer gelten könnte?

Ich weiss nicht, zum Beispiel:

„Man soll sich anständig benehmen, nett sein zu den Menschen, einen Bettler nicht ginggen und einen Banker nicht anspeuzen. Man soll Liebe walten lassen. Man soll nicht stehlen, niemandem weh tun und keine Sachen absichtlich kaputt machen. Man soll nach bester Möglichkeit für sich selber aufkommen und im Idealfall auch etwas für später auf die Seite legen. Man soll keinen Müll in die Landschaft werfen. Man soll nicht mit dem Flammenwerfer drohen. Und ab und zu ein Liedlein singen (aber nicht zu laut nach 22 Uhr).“

Lieber rechter Schweizer – können wir uns auf diese einfache Regelung des Zusammenlebens einigen? Und wenn ja: Könnten wir uns daran halten?

 Insbesondere du?

Das fände ich schön.

Denn in der guten alten Zeit, die du dir so schrecklich fest zurückwünschst, hätte dir deine Mutter für deine Frechheiten, Beleidigungen und Lügen eine schallende Ohrfeige gegeben.

Und ich habe es so dermassen satt, schuldlos von dir beschimpft zu werden, dass ich mir mittlerweile diese Zeit zurückwünsche.

Das ist doch blöd, findest du nicht?

Mit bestmöglichem Gruss,

Christov Rolla, linker Jodelkomponist, grüner Männerchorleiter, roter Kirchenchordirigent, stockkonservativer Rockmusikant, alternativer Innerschweizer, harmloser Beizengänger, ratloser Mensch.